Ausgabe November | Dezember 2021
AUSZUG AUS DEM INHALT:
TITELTHEMA
Nachhaltige Bestandsentwicklung – Neue Zukunft für alte Bauten
„Der Bau“ ist einer der ressourcenintensivsten Wirtschaftszweige und einer der größten Abfall- und CO2-Verursacher. Welche Möglichkeiten und Potenziale ein schonender Umgang mit bereits verbauten Ressourcen birgt, darüber spricht GEG Baupraxis mit Lena Raizberg und Katrin Herrmann vom Berliner Architekturteam bei Arup.
REALISIERTE OBJEKTE
Wohnstallhaus, Plankstetten/Oberpfalz – Charmantes Comeback
Das Traumhaus, um das die Bauherren heute meist beneidet werden, war beim Kauf baufällig und wurde seit vielen Jahren nicht mehr genutzt. In exponierter Lage, auf dem höchsten Punkt Plankstettens gelegen, steht das fast 300 Jahre alte Gebäude. Niemand hätte geglaubt, welchen Schatz die Bauherren mit der denkmalgeschützten Ruine bergen konnten.
ENERGIEBERATUNG
Denkmalpflege und energetische Fenstersanierung – Sanieren bedeutet Erhalten
Im September 2018 startete das Forschungsvorhaben „Innovative Lösungen für die Ertüchtigung von historischen Bestandsfenstern unter Aspekten des Klimaschutzes – Lebenszyklusbetrachtungen und Demonstration in der Alten Schäfflerei, dem Fraunhofer- Zentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege im Kloster Benediktbeuern“. Im Rahmen des Projekts bilanzierten das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP und die Otto-Friedrich-Universität Bamberg mit dem Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) die Lebenszyklen von Verglasungen sowie Fensterkonstruktionen und erarbeiteten neue Lösungen.
GEBÄUDEHÜLLE
Dachintegrierte Photovoltaik – Strom vom eigenen Dach – eine gestalterische Aufgabe
Energiesparen und umweltfreundliche Energiegewinnung sind Aufgaben, denen sich die Architektur sowie die am Dach beteiligten Gewerke bei Planung und Ausführung von Gebäuden widmen müssen. Mit dem Boom der Solaranlagen gewinnt das geneigte Dach wieder an Bedeutung, da es ein idealer Standort zur Aufstellung von Solaranlagen ist. Durch sorgsame Planung kann auch der oft kritisierte solare „Wildwuchs“ auf Dachlandschaften vermieden werden. Solaranlagen, und allen voran dachintegrierte Anlagen, werden zunehmend als architektonische Gestaltungselemente genutzt. Die Dacheindeckung findet im Steildach in der Regel mit Dachziegeln und Dachsteinen statt. Beim Einsatz von Solaranlagen auf dem Dach gelten aber besondere Anforderungen für Planung und Montage.
ANLAGENTECHNIK
Kongresszentrum und Erlebnisbad, Davos – Heißes Eis: Wärme aus Kälte
Davos bietet mit seinen Bergen alles, was aktive Sportlerherzen begehren. Zudem kommen Urlauber im Wellness- und Erlebnisbad „Eau-là-là“ mit angegliederter Eishalle auf ihre Kosten. Aber auch für Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler ist Davos ein beliebtes Reiseziel, wenn etwa das Weltwirtschaftsforum zum Jahrestreffen in den „Davos Congress“ lädt. Kongresszentrum wie auch „Eau-là-là“ verwenden die Abwärme der Eisproduktion aus dem Eisstadion für ihre thermische Versorgung. Besonders effizient funktioniert die Abwärmenutzung, die Experten im Rahmen infrastruktureller und anlagentechnischer Sanierungsmaßnahmen realisiert haben, durch den Einbau einer fünfstufigen Zortström-Anlage.
Brennstoffzellenheizung – Warme Gebäude dank kalter Verbrennung
Immer mehr Neubauten werden – gefördert vom Staat – als Energiespar- oder Plusenergiehäuser gebaut und Altbauten saniert. Ziel sind eine höhere Energieeffizienz sowie niedrigere Energieverbräuche und CO2-Emissionen im Gebäudesektor. Letztere müssen in weniger als 30 Jahren, ausgehend von 120 Mio. Tonnen, auf null reduziert werden. Ein Lösungsansatz für einen klimaneutralen Gebäudebestand sind Brennstoffzellenheizungen. Sie erzeugen Wärme und Strom, das „Abfallprodukt“ ist Wasser.
Nassauische Heimstätte | Wohnstadt: Feldversuch – Klimaschonend Heizen mit Brennstoffzellen
In zwei Mehrfamilienhäusern in Kassel läuft derzeit ein Feldversuch mit Brennstoffzellen, durchgeführt von Viessmann und der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt.
Den „schlafenden Riesen“ wecken
Rund 22 Mio. Bauwerke umfasst der Gebäudebestand hierzulande und ein Großteil davon gilt in energetischer Hinsicht als mangelhaft bis ungenügend. Nicht nur für Lena Raizberg, Leiterin des Berliner Architekturteams bei Arup, verbirgt sich hier ein „enormer Hebel zur CO2-Reduktion“ und zum Ressourcenschutz. Trotzdem liegt die Sanierungsquote in Deutschland bei nur einem Prozent – der „Riese“, wie Raizberg den Gebäudebestand nennt, „schläft also noch“ – leider. Aber andererseits nehmen die Anstrengungen, ihn zu wecken, auch immer mehr an Fahrt auf. Die Politik müht sich, immer mehr Anreize für eine energetische Sanierung zu schaffen. So verkündete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Ende September 2021: „Wir stellen für 2021 nochmal insgesamt 11,5 Mrd. Euro für die energetische Gebäudesanierung zur Verfügung. Das sind nie da gewesene Rekordsummen…“. Und laut Altmaier nutzen „Häuslebauer“ die Förderung auch. Bis Mitte September wurden 10,6 Mrd. Euro Fördergelder bewilligt und für das Gesamtjahr rechnet der Minister mit über 15 Mrd., vielleicht gar bis zu 18 Mrd. Euro.
Letztlich sind es die Eigentümer, die im ersten Schritt überzeugt und die sich im zweiten Schritt die nötigen Investitionen auch leisten können müssen. Letzteres gestaltet sich gegenwärtig allerdings schwieriger als in vergangenen Jahren, machen doch nicht nur der Baubranche enorme Materialpreissteigerungen zu schaffen. Gepaart mit teils drastischen Materiallieferengpässen bremst das entsprechende Maßnahmen durchaus, während andererseits der Leidensdruck wegen ebenfalls enorm gestiegener Energiepreise immer größer wird.
Wie es weitergeht, bleibt spannend. Fest steht: Bestandsgebäude zu sanieren, sie dabei vielleicht gar zu transformieren und neu zu nutzen, ist nicht nur in puncto Energie und Ressource sinnvoll, sondern auch in puncto (Bau)Kultur. Immerhin sind Bestandsgebäude wertvolle architektonische Zeitzeugen. Diese möglichst zu erhalten, ist auch eine Maxime der französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Sie arbeiten seit vielen Jahren leidenschaftlich nach dem Motto „Umbau vor Neubau“ – und haben vielleicht nicht zuletzt genau deshalb in diesem Jahr den begehrten Pritzker Preis für Architektur erhalten…
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg – beim Wecken der „Riesen“, aber auch bei Neubauprojekten!
Ihr GEG Baupraxis-Team