Genossenschaftliche Nahwärmenetze
Schlüssel zur nachhaltigen Wärmeversorgung
Text: Prof. Dr. Werner Friedl, Lea Schumacher | Foto (Header): © darknightsky – stock.adobe.com
Bezugnehmend auf den Bundestagsbeschluss vom 17.11.2023, hat der Bundesrat am 15.12.2023 das Gesetz zur Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze gebilligt. Zusammen mit dem Gebäudeenergiegesetz 2024 – auch bekannt als das Heizungsgesetz – trat das Wärmeplanungsgesetz Anfang dieses Jahres in Kraft. Der hierzu erfolgte parlamentarische Gesetzgebungsverlauf war schwierig. Das Gesetz richtet sich an die Bundesländer und deren Kommunen, wie Großstädte, Städte und Gemeinden, und verpflichtet diese, Wärmepläne zu erstellen.
Auszug aus:
GEG Baupraxis
Fachmagazin für energieeffiziente und ressourcenschonende Neu- und Bestandsbauten
Ausgabe März / April 2024
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Stichtag für das Wärmeplanungsgesetz ist bei Gemeinden über l 00.000 Einwohner der 30.06.2026, bei Gebieten bis 100.000 Einwohner der 30.06.2028. Handelt es sich um Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohner, sind vereinfachte Verfahren möglich. Zudem können sich mehrere Gemeinden zu einer gemeinsamen Wärmeplanung zusammenschließen. Der Bundesrat kritisierte in einer begleitenden Entschließung die dadurch entstehende hohe Kostenbelastung der Kommunen, über deren genaue Höhe und Finanzierung keine Klarheit bestehe. Die bisherigen Finanzierungszusagen seien zu konkretisieren und mehrjährig auszugestalten, um Länder und Kommunen entsprechende Planungssicherheit bei der Umsetzung zu geben.
Experten äußern zudem Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verringerung der Energiestandards der Gebäude in diesen Gebieten. Dies trifft insbesondere auf Neubaugebiete mit Anschlusszwang, hohen Grundgebühren und der Abnahme von Mindestmengen an Energie zu. Nicht selten sind in diesen Fällen externe Energieversorgungsunternehmen an der kommunalen Wärmenetzplanung gewinnorientiert beteiligt.
Deshalb ist es wichtig, dass die Wertschöpfung aus den Wärmenetzen in der Kommune bleibt. Eine entscheidende Rolle spielen dabei lokale Initiativen, die auf regionaler Ebene die Umsetzung und Akzeptanz von Nahwärmenetzen vorantreiben. In diesem Wechselspiel von politischem Handeln und bürgerschaftlichem Engagement liegt die Schlüsselkomponente für den erfolgreichen Weg zur nachhaltigen Wärmeversorgung. Damit dies gelingt, sind genossenschaftliche Nahwärmenetze ein wichtiger Hebel. Diese ermöglichen eine Beteiligung der lokalen Gemeinschaft an der Energieversorgung und schaffen somit eine Winwin-Situation. Sie bieten den Bürgern die Möglichkeit, aktiv am Energiemarkt teilzunehmen, die Ausgestaltung der Verträge zu regeln und fördern gleichzeitig die lokale Identität und Verantwortung. Die Wertschöpfung und Vertragsgestaltung vor Ort ist deshalb von besonderer Bedeutung.
Herausforderungen und Potenziale in der Wärmeversorgung
Nahwärmenetze spielen eine entscheidende Rolle bei der Integration erneuerbarer Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und Abwärme in die Wärmeversorgung. Diese Netze ermöglichen die lokale Erzeugung und Nutzung von Wärme, wodurch gemeinschaftliche Versorgungslösungen geschaffen werden, die nicht nur Bedarfsspitzen minimieren, sondern auch eine größere Unabhängigkeit von großen Energielieferanten gewährleisten. Der Einsatz von Heizzentralen eröffnet ökonomisch und technisch sinnvolle Wege für verschiedene Technologien, wie Biogasanlagen, Verbrennung fester Biomasse, Tiefengeothermie und Langzeitwärmespeicher. Diese Technologien sind für die Wärmeversorgung einzelner Gebäude nur begrenzt nutzbar. Ein wesentlicher Vorteil dezentraler Wärmeversorgung liegt in der Reduzierung spezifischer Kosten und der Steigerung der Auslastung größerer Anlagen im Vergleich zur Einzelversorgung von Gebäuden. Neben den oft niedrigeren Wärmepreisen profitieren Endverbraucher auch von eingesparten Investitions- und Wartungskosten sowie dem freigewordenen Platz durch den Wegfall eines Brennstofflagers bei individuellen Heizungsanlagen. Trotz dieser Vorteile stehen Nahwärmenetze vor Herausforderungen. Eine zentrale Problematik ist die Anschlussdichte, die die Wirtschaftlichkeit des Netzes maßgeblich beeinflusst. Bei einer geringen Anschlussdichte steigen die Kosten für die angeschlossenen Gebäude, was zu einer Abwärtsspirale führen kann. Die höheren Kosten können dann potenzielle Anschlussnehmer abschrecken, was die Anschlussdichte weiter reduziert und die Belastungen für die verbleibenden Verbraucher erhöht. Ein weiteres Hindernis sind die hohen Investitionskosten für Betreiber, die erst nach mehreren Jahren Betriebszeit erwirtschaftet werden. Insbesondere für Gemeinden stellen diese Aufwendungen eine bedeutende Hürde dar.
Zudem entsteht ein Interessenkonflikt zwischen hochenergieeffizienten Gebäuden und Nahwärmenetzen, da für diese Immobilien meist die Grundgebühr zu hoch ist, wie es bei Passivhäusern und häufig auch bei Effizienzhäusern der Fall ist. Aktuell untersuchen alle beteiligten Akteure innovative Konzepte für die Überwindung dieser Herausforderungen, insbesondere für Neubaugebiete mit durchschnittlich niedriger Wärmeabnahme. Ansätze wie die „Kalte Nahwärme“ oder die Nutzung des Rücklaufs von klassischen Wärmenetzen werden erprobt, um die Effizienz und Wirtschaftlichkeit von Nahwärmenetzen weiter zu verbessern.
Energiegenossenschaften
Die Energiewende hat im genossenschaftlichen Modell einen überzeugenden Verbündeten gefunden, denn dieses Modell hat gezeigt, dass sich durch gezielte Beteiligungsmodelle die Potenziale für lokale Wertschöpfung durch erneuerbare Energieanlagen erheblich steigern lassen. Insgesamt zeigen Energiegenossenschaften, dass Bürger nicht nur Verbraucher von Energie sind, sondern auch aktive Teilnehmer der Energiewende sein können. Zudem zeigen entsprechende Konzepte, wie es praktisch gelingen kann, Gemeinden, Städte und deren Einwohner systematisch und substanziell in die Energiewende einzubeziehen. Die regionale Wertschöpfung und die finanzielle Beteiligungsmöglichkeit spielen eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz erneuerbarer Energieanlagen auf lokaler Ebene.
Bürger der Kommune schließen sich in Energiegenossenschaften zusammen, um gemeinsam in erneuerbare Projekte zu investieren und diese zu betreiben. Diese Form der Zusammenarbeit ermöglicht es den Einwohnern, aktiv Teil der Wende zu werden und selbst zur Umstellung auf erneuerbare Energien in allen Bereichen beizutragen. Die wirtschaftliche Handlungsform von Energiegenossenschaften eröffnet der gesamten Region die Möglichkeit zur Beteiligung – unabhängig von der Höhe des eingebrachten Kapitals. Ein herausragender Vorteil dieses Genossenschaftsmodells liegt in deren regionaler Verankerung. In der Regel lokal oder regional tätig, ermöglichen sie den Bürgern unmittelbare Teilhabe an den Erträgen und der Wertschöpfung aus erneuerbaren Energieprojekten, was die regionale Wirtschaft stärkt und gelegentlich neue Arbeitsplätze schafft.
Ein weiterer bedeutender Aspekt von solchen Zusammenschlüssen ist die demokratische Entscheidungsfindung. Da die Mitglieder gleichberechtigt sind, haben sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Umsetzung von Projekten. Dies fördert die Bürgerbeteiligung und schafft Akzeptanz für die Energiewende. Energiegenossenschaften tragen daher dazu bei, die Wärmewende schneller und effektiver umzusetzen. Die Beteiligung der Bürger erhöht das Investitionsvolumen, ermöglicht die Umsetzung größerer und komplexerer Projekte und beschleunigt somit den Ausbau regenerativer Quellen sowie die Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Die höhere Akzeptanz führt zudem zu weniger Widerstand aus der Bevölkerung gegen erneuerbare Energien, wie z. B. bei Windkrafträdern oder bei Freiflächen-Solaranlagen. Ein weiterer Pluspunkt bei der Umsetzung erneuerbarer Energieprojekte durch Genossenschaften ist die erleichterte Akquise von geeigneten Flächen oder Expertise durch die Mitglieder und die Vertrauenswürdigkeit einer Genossenschaft. Energiegenossenschaften rufen Bürger dazu auf, nicht nur passive Verbraucher zu sein, sondern aktive Teilnehmer der Energiewende zu werden.
Wer profitiert?
Durch eine Genossenschaft als Betreiber des Wärmenetzes werden alle Mitglieder auch Miteigentümer des Netzes. Ein solcher Verbund arbeitet im Vergleich zu großen Energiekonzernen nicht nach dem Gewinnmaximierungs-, sondern nach dem Kostendeckungsprinzip und kann daher eine Wärmeversorgung kostengünstiger organisieren und Überschüsse kommen den Mitgliedern zugute. Neben der kostengünstigen Wärmeversorgung legen Genossenschaften großen Wert auf die regionale Wertschöpfung und somit profitieren die örtlichen Unternehmen vom Bau und Betrieb des Netzes. Die Kommune stellt dabei für ihre Bürger eine sichere und umweltfreundliche Wärmeversorgung sicher, ohne eine eigene Investition zu tätigen oder einen Investor ins Spiel bringen zu müssen, der seine wirtschaftlichen Absichten vorbringt. Zusätzlich lassen sich durch den lokalen Ausbau erneuerbarer Energien die Steuereinnahmen erhöhen und neue Arbeitsplätze schaffen. Somit profitieren alle Beteiligten von einer genossenschaftlichen Umsetzung eines Wärmenetzes: die Abnehmer, die Unternehmen vor Ort sowie die Kommune.
Zielkonflikt Wärmedämmung und Nahwärmeversorgung
Ein zentrales Anliegen im Kampf gegen den Klimawandel ist die Reduzierung des Energiebedarfs im Gebäudesektor. Hierbei ergibt sich jedoch ein spannungsgeladener Zielkonflikt zwischen energieeffizienten Bauwerken und Wärmenetzen. Während energieeffiziente Gebäude einen geringen Energiebedarf aufweisen, sind Wärmenetze auf eine kontinuierliche Abnahme der angeschlossenen Gebäude angewiesen. Energieeffiziente Baustandards minimieren den Wärmebedarf durch verbesserte Dämmung und effiziente Heizsysteme. Andererseits benötigen Wärmenetze eine Mindestabnahme an Energie, um wirtschaftlich und technisch sinnvoll betrieben werden zu können. Dieser Zielkonflikt ließ sich durch den neuen Stand der Technik und der Erprobung von kalten Nahwärmenetzen entschärfen. Dies gilt allerdings nur bei Gebieten mit einheitlicher energieeffizienter Bebauung. Befinden sich nur vereinzelt energieeffiziente Gebäude im Einzugsbiet des Wärmenetzes, bleibt der Konflikt bestehen. Hinzu kommt, dass die Sanierungsquote im Gebäudebestand stetig steigt und sich somit die jeweilige Abnahme eines Wärmenetzes über die Jahre deutlich verringern kann. Neben den Folgen für den Betreiber hat der Netzanschluss auch häufig für Hochenergieeffizienzgebäude einen entscheidenden Nachteil.
Eine in vielen Fällen erhobene Grundgebühr für Abnehmer kann bei einer geringen Wärmeabnahme so hoch sein, dass die jährliche Grundgebühr die Kosten für den Wärmebezug deutlich überschreitet. Das minimiert den finanziellen Vorteil durch die eingesparte Energie eines energieeffizienten Gebäudes deutlich. Hinzu kommt, dass manche Wärmenetzbetreiber eine Mindestabnahmemenge festschreiben. Für diese Problematik gilt es, in den kommenden Jahren geeignete Lösungsansätze zu entwickeln, um die Hochenergieeffizienzbauweise nicht zu behindern.
Für die Berücksichtigung von sehr energieeffizienten Gebäuden im Einzugsgebiet eines Nahwärmenetzes ließe sich zur Deckung des Wärmebedarfs bspw. der Rücklauf des Netzes nutzen. Der Anschluss einer Wärmepumpe an eine „kalte“ Nahwärmeleitung oder an den Rücklauf des Netzes führt zu einer deutlichen Effizienzsteigerung der Anlage an kalten Tagen. Die Entwicklung von flexiblen, nur verbrauchsorientierten Tarifmodellen für den Wärmebezug könnte dazu beitragen, den finanziellen Nachteil für Eigentümer von energieeffizienten Gebäuden zu reduzieren. Hierbei sollten Tarife angeboten werden, die sich an der tatsächlichen Wärmeverbrauchsmenge orientieren. Dies würde die Grundgebühr senken und Anreize für den Anschluss an das Wärmenetz schaffen. Bei allen Ideen und Lösungsansätzenist jedoch eines besonders wichtig: Die Wärmenetze müssen flexibel und anpassungsfähig geplant und gebaut werden, sodass sie immer genauso effizient und sinnvoll bleiben, wie bei der Errichtung. Nur so können entsprechende Infrastrukturen als Alternative zu den herkömmlichen Energieversorgungen bestehen und den Ausbau von erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung in den nächsten Jahren großflächig vorantreiben.
Die Autoren
Prof. Dr. Werner Friedl ist Architekt, lehrt und forscht im Bereich des energieeffizienten Bauens am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen an der Hochschule Darmstadt. Der eingetragene Energieeffizienz-Experte und zertifizierte Passivhausplaner ist zudem verantwortlicher Sachverständiger für den Wärmeschutz in Bayern (§ 3 AVEn) sowie Autor des Werks „Planung und Ausführung nach GEG“ der Forum Verlag Herkert GmbH. Seit 2001 wohnt er in einem Passivhaus.
Lea Schumacher hat ihren Master im Bauingenieurwesen an der Hochschule Darmstadt abgeschlossen und ist seit 2022 bei einer Energiegenossenschaft tätig. Im Zuge ihrer Masterarbeit hat sie sich intensiv mit der Thematik der genossenschaftlichen Wärmenetze beschäftigt. Nun plant sie entsprechend nachhaltige Energielösungen und ist im Projektmanagement tätig.